Erfahrungsbericht: micromobility expo 2022

Infos und Eindrücke von der micromobility expo 2022 Fachkonferenz in Hannover am 19. Mai 2022.

 

Kommentar von Mark Hoelling

 

Am 19. Mai 2022 fand in Hannover zum dritten Mal die micromobility expo 2022 Fachkonferenz auf dem Messegelände in Hannover statt.

Wie bei praktisch allen Leuten, die irgendwie mit Mikromobilität zu tun haben, habe ich auch hier wieder dieses große Engagement aller Beteiligten für das Thema erlebt.

Sowohl von den Veranstaltenden, den Ausstellenden / Teilnehmenden als auch den BesucherInnen.

 

Anreise

 

Überraschend viele sind übrigens wie wir (wir waren zu zweit) mit der Kombination Zug und Klapprad/-pedelec angereist.

Bei uns waren es unsere, mittlerweile sehr geliebten, Mini-Pedelecs (ausführliches Review hier).

Mit um den Lenker gehängten Rucksäcken haben sie sich wieder einmal als echte Schwerlast-Mulis erwiesen (das machen wir sonst übrigens genauso mit e-Scootern):

Tipp: Klappräder/-pedelecs wie diese gelten (wie private e-Scooter) übrigens in der Bahn (und dem ÖPNV insgesamt) zusammengeklappt als Handgepäck und nicht als Fahrräder.

 

Keynote

 

Katja Diehl hat in ihrer Keynote nicht nur die (für Insider) bekannten Themen ihres Buches "Autokorrektur" aufgegriffen, sondern auch interessante Eindrücke von ihrer Anhörung vor dem Petitionsausschuss des Bundestages geteilt, die ein paar Tage vor der micromobility expo 2022 stattgefunden hat.

Wer mehr dazu hören möchte kann das sehr gut in ihrem Podcast tun: iTunes / Spotify.

 

Podium

 

Über den Tag verteilt gab es mehrere Podiumsvorträge zu den Themen:

  • Mobilität der Zukunft
  • Weg vom Autoverkehr
  • Städte von Morgen
  • Mikromobilität und urbane Logistik
  • Digitale Technologien

Im Rahmen des Konferenzprogramms war ich selbst Speaker eines Podiumspanels.

Die Hauptpunkte meines Beitrags waren dabei:

  • Das Fehlen der Mikromobilität (besser: der "kleinen e-Mobilität" / e-Mobilität mit allem was kleiner ist als konventionelle PKW) als fünfte Säule in allen Mobilitätwendediskussionen neben: Fussverkehr, Radverkehr, ÖPNV und PKW.
  • Beispiel e-Scooter: in Deutschland, wo der Fokus (praktisch ausschließlich) auf Sharing liegt, ersetzen nur 15% der e-Scooterfahrten Autofahrten.
    Vergleich: in Frankreich, wo der Fokus auf privaten e-Scootern liegt (2,5 Mio. Leute in Frankreich haben einen eigenen e-Scooter), ersetzen 50% der e-Scooterfahrten Autofahrten.
  • e-Scooter-Nutzung in Deutschland und Frankreich als Beispiel für "flächendeckende Unkenntnis" in Deutschland über die gesamte Mikromobilität und wo ihre Potentiale tatsächlich liegen.
    Veranstaltungen wie die micromobility expo können dazu beitragen (auch die Medien) besser zu informieren.
  • In Deutschland gibt es 1,5 Mio. Rollstuhlfahrende. Davon haben nur 100.000 einen elektrischen Rollstuhl.
    Beispiel: ein französisches Startup, das einen Adapter für "normale" (manuelle) Rollstühle anbietet, mit denen sich bei Bedarf private e-Scooter im Rollstuhl nutzen lassen.

 

Leute, Gespräche und Fahrzeuge

 

Wir hatten Gelegenheit mit einer Menge interessanter Leute sehr lohnende Gespräche zu führen. Ein paar Beispiele von vielen:

 

Michael Käse, der Chef von Moovi, hat mit seinem Moovi Cargo Set einen bleibenden Eindruck hinterlassen:

Fotoquelle: Moovi

Ideal für Getränkekisten oder sogar größere Hunde.

Weil e-Scooter in Deutschland (im Gegensatz zu Fahrrädern und Pedelecs) keine Anhänger ziehen dürfen, ist Ihr Transportnutzen i.d.R. auf einen Rucksack begrenzt.

Da ist das zusammenklappbare und entnehmbare Cargo Set eine super Möglichkeit für den Transport.

Bei eScootee halten wir bisher mit ein bisschen Kreativität dagegen, siehe die erweiterte Rucksacklösung oben, die nicht nur bei Mini-Pedelecs, sondern auch e-Scootern funktioniert.

Oder mit unserer Lösung im vergangenen Sommer:

Michael Käse hatte noch eine Cargo Lösung dabei:

Eine Transportplattform, die vorn vor dem e-Scooter eingehängt wird und über ein eigenes frei lenkendes Rad (wie bei einem Einkaufswagen) verfügt.

Selbst bei schweren Lasten bleibt der e-Scooter genauso leicht lenkbar und fahrbar, wie ohne die Transportplattform, wie ich selbst ausprobieren konnte.

Von der Fahrt bei der Michael Käse mich (im Schneidersitz auf der Transportfläche sitzend) danach mühelos herumgefahren hat, gibt es leider kein Foto. :)

 

Carlo Schmid und Sebastian Marten von Second Ride haben mit ihren Retrofit-Kits für die Simson und die Schwalbe gezeigt wie die Elektrifizierung einer Fahrzeugflotte am Ressourcen-schonendsten funktionieren kann.

Fotoquelle: Second Ride

Selbst Ungeübte können z.B. ihre alte Simson in ungefähr drei Stunden von Verbrenner auf Elektro umrüsten. Da noch ungefähr eine halbe Million Simsons auf den Strassen unterwegs sind, ist das eine großartige Lösung.

Ich bin sowohl die elektrische Simson, als auch die Schwalbe, gefahren.

Sehr cool.

Deutlich mehr Leistung als im Original und trotz Einstufung als Moped mit Versicherungskennzeichen legal mit 60 Km/h unterwegs, dank der alten "DDR-Sonderregelung".

 

Mit Arne Schmidt konnte ich mich ausführlich über die Kumpan-Roller unterhalten und ich konnte noch einmal einen der Roller in der Moped-Klasse über das Gelände fahren.

Fotoquelle: Kumpan

Natürlich kenne ich die Kumpan-Roller schon und bin davor mehrere Modelle probegefahren.

Ich hoffe, dass wir die stärkeren Modelle in der 125-er-Klasse bald in einem ausführlichen Dauer-Review vorstellen können.

 

Tim Rademacher haben wir schon in der Straßenbahn vom Hauptbahnhof zum Messegelände getroffen.

Wir waren mit unseren Mini-Pedelecs unterwegs, er mit einem MinI-Segway.

Er hat uns von seinem sehr spannenden Konzept für einen "Micromobility Info-Hub" erzählt, wo Leute sich Fahrzeuge aller Mikromobilitätsarten einmal nebeneinander ansehen können, statt wie bisher e-Scooter bei einem Händler und dann Elektromotorroller, Lastenräder, Segways, Leichtelektromobile etc. wieder bei einem jeweils anderen.

Ich hoffe, wir können dabei in Zukunft mit zum Erfolg dieser super Idee beitragen.

Und, warum gibt es das nicht schon längst?

 

Ich konnte endlich einmal mit Markus Emmert vom BEM (Bundesverband eMobilität) sprechen, wo er sich insbesondere um die Mikromobilität kümmert.

Obwohl wir mit eScootee nicht Mitglied im BEM sind arbeiten wir natürlich für das gleiche Ziel und ich würde mich freuen in Zukunft das eine oder andere gemeinsam auf die Beine (oder Räder) zu stellen.

Sicher kann dabei auch unser Netzwerk der Bundesinitiative Kleine eMobilität eine Rolle spielen.

 

Mit Lars Zemke von Electric Empire haben wir natürlich über die Legalisierung von Monowheels und e-Skateboards gesprochen.

Im Herbst wird es wieder einen Free Hands Ride in Berlin geben (Demo auf Monowheels und e-Skateboards).

Wer dabei sein will (auch gern auf einem e-Scooter), oder Monowheels und e-Skateboards aus der Nähe sehen möchte, sollte sich über die Website von Electric Empire auf dem Laufenden halten.

 

Sehr viel Fahrspass hatte ich auf den drei Modellen, die CAKE dabei hatte. Kelvin Seppenwoolde hat sie uns ausführlich im Detail vorgestellt.

Fotoquellen: CAKE

Interessant ist, dass alle den gleichen Motor haben und ihre sehr unterschiedlichen Leistungen durch ihre elektronische Steuerung erhalten.

Alle haben sehr gute Fahreigenschaften, besonders Makka (ganz links auf dem Bild) und Ösa (Mitte) haben mir mit ihrem Fahrverhalten für die Stadt sehr gefallen.

Vom Lenkverhalten würde ich sogar sagen, dass das das beste ist was ich bisher bei Elektrozweirädern gefahren bin.

Dabei hatte Ösa noch eine kleine Überraschung parat:

Obwohl das Model auf der Messe in der auf 45 Km/h gedrosselten Version gezeigt wurde (erhältlich auch mit 90 Km/h) war die Leistung jenseits von allem, was e-Mopeds sonst bieten.

Bis zu 10 Kw Nennleistung sind möglich (legal bis 4 Kw). Wieviel "mein" Modell hatte, weiss ich nicht. Aber es war sehr beeindruckend.

Das dritte Modell Kalk (rechts) hatte definitiv 10 Kw Nennleistung, die Maximalleistung wurde mir nicht gesagt.

Dieses Modell hat zu Recht eine gewisse Berühmtheit erreicht, weil es in Afrika sehr erfolgreich von Wildhütern für die "Jagd" auf Wilderer eingesetzt wird.

Nachdem Kelvin mir nach meiner Fahrt die hervorragende Federung erklärt hat (er fährt selbst Moto Cross), hatte ich vorgeschlagen sie beim Fahren über eine Treppe in Sichtweite zu testen.

Erst hatte er zugesagt, aber da wir nicht allein waren und keine Begehrlichkeiten bei Nachahmern wecken wollten, haben wir das lieber/leider auf eine ausgedehnte Testfahrt und ein Review zu einem späteren Zeitpunkt verschoben. :)

 

 

Ich bin leider nicht mehr dazu gekommen den Hopper zu fahren.

Er ist ein überdachtes dreirädriges Pedelec, bei dem das Hinterrad lenkt, so dass sich jede Kurve wie ein Drift anfühlt.

Fotoquelle: Hopper Mobility

Neben einer Reihe verschiedener anderer Fahrzeuge gab es z.B. noch interessante Ladelösungen.

ONgineer hat eine ehr flexible steckerlose Ladelösung für e-Scooter und Pedelecs gezeigt, die sowohl im öffentlichen (z.B. über Dockingstationen), wie auch betrieblichen oder privaten Raum installiert werden kann.

Und Christiaan van Nispen hat uns die Ladelösung von Tiler für Pedelecs (oder andere Fahrzeuge) präsentiert, bei der der Ladekontakt über den ausklappbaren Ständer hergestellt wird.

Ausdrücklich lobend erwähnen möchte ich den Schokoriegel aus Amsterdam, der uns mit der Visitenkarte von Christiaan überreicht wurde. Unfassbar köstlich. :)

 

 

Hannover

 

Wir sind noch ein paar Tage in Hannover geblieben.

Dabei werde ich mich noch lange vor allem an drei Dinge erinnern:

 

  1. Das elektronische Vogelgezwitscher, das in unserer AirBnB-Unterkunft jedes mal losging, wenn wir das Bad betreten haben.
     
  2. Die oft sehr guten Fahrradwege in Hannover, die ein schnelles Durchqueren der Stadt ermöglichen.
     
    Am Westufer des Maschsees sogar über mehrere Kilometer mit einer Breite von fünf Metern.
     
  3. Vor einer Kreuzung bei den Herrenhäuser Gärten stand ein korrekt abgestellter Sharing-e-Scooter zwischen Bügeln zum Anschließen von Fahrrädern, der trotzdem leicht in den Fussweg hineinragte.
     
    Beim Tasten mit dem Stock hat eine blinde Frau den e-Scooter "verpasst" und ist mit einem Fuss an der Trittfläche des e-Scooters hängengeblieben.
     
    Sie hat das aber relativ elegant "überwunden" und ist einfach ungebremst weitergegangen, nur um zwei Meter weiter in das Hinterrad ein Fahrrades zu laufen, das ebenfalls in den Fussweg hineingeragt hat. Auch das hat sie nicht wirklich gebremst.
     
    Sie hat das alles erduldet ohne sich zu ärgern.
     
    Sie war wohl spät dran und muss das Piepen der nahen Ampel gehört haben, denn sie ist, weiter tastend, tatsächlich bei der Ampel über die Strasse gelaufen, nicht gegangen.
     
    Zum einen war ich sehr beeindruckt von der Navigation und gelassenen Unbeirrbarkeit der Frau.
     
    Zu anderen dachte ich mir, dass es auch, aber nicht nur, vor solchen Fahrradständern eine Art abgesetzter Bodenplatten geben sollte, ähnlich (aber mit anderem "Muster") wie es sie vor Fussgängerampeln oft gibt (wie oft eigentlich?).

 

 

Fazit

 

Die micromobility expo 2022 Konferenz war eine spannende Gelegenheit sich mit jeder Menge Leute auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen, die alle das gleiche Ziel verfolgen: die Mobilitätswende voranzubringen und dabei der Mikromobilität (im weiteren Sinne) im Rahmen eines intelligenten Mobilitätsmixes den Stellenwert zu geben, der ihrem Potential entspricht.

Florian Eisenbach, sein Team und das Team vom IZT (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung) haben eine tolle Konferenz realisiert.

Ich freue mich auf nächstes Jahr.