9-Euro-Ticket, Tempolimit, Dieselfahrverbote: keine Symbol- sondern Signalpolitik

9-Euro-Ticket, Tempolimit, Dieselfahrverbote sind typische Beispiele bei denen vermeintliche Symbolpolitik tatsächliche langfristige Wirkung zeigt.

 

Kommentar von Mark Hoelling

 

Es gibt ein paar Wörter, die in öffentlichen Diskussionen gern benutzt werden, um komplexe Themen auf eine „einfache“ Bewertung zu reduzieren, obwohl sie tatsächlich eine differenzierte Betrachtung verdienen.

Ein typisches Beispiel ist „technologieoffen“, das in der (hauptsächlich PKW-)Mobilität, längst zu einem Synonym für eFuels und Brennstoffzellen und gegen batterieelektrische Antriebe geworden ist.

Das Wort, über das ich hier jedoch sprechen möchte ist „Symbolpolitik“.

Aktuell fällt es häufig im Zusammenhang mit der immer stärker werdenden Forderung nach sowohl einem temporären, aber auch einem dauerhaften generellen Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

Obwohl wir uns bei eScootee klar für ein Tempolimit auf Autobahnen aussprechen (wie auch für 80 Km/h auf Landstrassen und mehr lokalen Entscheidungsspielraum für 30 Km/h in Städten), geht es jetzt hier nicht um das Tempolimit an sich, sondern darum, warum vermeintliche Symbolpolitik eine beträchtliche und sehr „reale“ dauerhafte Wirkung haben kann.

Anhand von drei Beispielen aus der Mobilität: 9-Euro-Ticket, Tempolimit, Dieselfahrverbote, wird das deutlich:

 

 

Beispiel 1: Dieselfahrverbote (und EU-Verbrenner-Neuzulassungsverbote)

 

Gerade die Fahrverbote (älterer) Diesel-PKW und -LKW auf einzelnen Strassen mit besonders erhöhten Stickoxidwerten wurde als Symbolpolitik kritisiert, weil sich der Verkehr dann einfach auf andere Strassen verlagern würde.

Tatsächlich hatten die zunehmenden Dieselfahrverbote eine erhebliche Signalwirkung in deren Folge sowohl die Preise für gebrauchte Diese-PKW, als auch die Neuzulassungen von Diesel-PKW eingebrochen sind.

Die noch vor kurzem am häufigsten neuzugelassene Antriebsart Diesel ist bei PKW von Monat zu Monat gefallen und liegt jetzt in Deutschland an vierter Stelle hinter Benzin-, batterieelektrischen und Plugin-Hybridantrieben.

Die gleiche Wirkung wird vorhersehbar die Umsetzung des bis 2035 angestrebten EU-Neuzulassungsverbotes von allen Verbrenner-PKW haben.

Das wird die ohnehin schon deutliche Entwicklung hin zu batterieelektrischen Antrieben bei PKW weiter verstärken.

Auch die Folgen für gebrauchte Benzin- aber auch Plugin-Hybrid-PKW, werden ähnlich sein, wie vorher schon bei Diesel-PKW.

In Deutschland wächst der Bestand an batterieelektrischen PKW bereits seit mehr als 12 Jahren exponentiell. Der Bestand verdoppelt sich ca. alle 1,5 Jahre und seit zwei Jahren sogar jährlich.

Durch die Ankündigung für 2035, wird diese Entwicklung sehr wahrscheinlich weiter verstärkt und (nur begrenzt von der Lieferfähigkeit) bis 2025 zu einem Neuzulassungsanteil bei batterieelektrischen PKW sehr nahe an 100% führen.

Sollten die Gesamt-PKW-Neuzulassungszahlen in Deutschland bald wieder vor-pandemische Zahlen erreichen, landen wir 2030 bei 20-25 Mio. batterieelektrischen PKW im Bestand und nicht bei den vermeintlich ambitionierten 15 Mio. der Bundesregierung.

Wir werden das übrigens detailliert in einem eigenen Beitrag darstellen.

 

 

Beispiel 2: Tempolimit

 

KritikerInnen des generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen argumentieren vor allem, dass die CO2-Einsparungen eines Tempolimits nur sehr gering wären und ein Rückgang der Unfalltoten unwahrscheinlich wäre: „Autobahnen sind die sichersten Strassen“.

Die vorhersehbaren „indirekten“ langfristigen Folgen für den Automarkt, aber u.a. auch den Geräuschpegel in Städten, die durch die Signalwirkung eines generellen Tempolimits entstehen (können) sind jedoch ebenfalls bedeutend. Z.B.:

  • Nachfrage nach schnelleren und oft teureren (Kaufpreis, Betrieb, Wartung, Versicherung) Fahrzeugen (neu und gebraucht) würde sinken.
  • Fahrzeuge (auch Motorräder) müssten nicht mehr für Geschwindigkeiten jenseits des Tempolimits ausgelegt werden (für keinen der bedeutenden Märkte der Welt mehr sinnvoll), was Materialbedarf, Herstellungsaufwand, Energiebedarf bei Herstellung und Betrieb sowie Gewicht reduziert.
  • Fehlender Nutzen von breiteren, für hohe Geschwindigkeiten geeigneten Reifen von PKW führt zu schmaleren Reifen, was den allgemeinen Verkehrsgeräuschpegel in Städten deutlich reduzieren kann.
Vergleich vorbeifahrender PKW bei 50 Km/h:
    • BMW i3, sehr schmale Reifen und auffallend leise
    • Tesla Model 3, breite Reifen und tatsächlich genauso laut wie moderne Verbrenner

 

 

Beispiel 3: 9-Euro-Ticket

 

Die Einführung des 9-Euro-Tickets wird oft dafür kritisiert, dass sie eine zeitlich befristete Symbolpolitik wäre.

Die Wirkung des 9-Euro-Tickets würde daher schnell wieder „verpuffen“ und das dafür nötige Geld könnte im ÖPNV anders wesentlich besser angelegt werden.

Während der ÖPNV zweifellos eine (erheblich) höhere Priorisierung bei den Verkehrsinvestionen des Bundes bräuchte, ist gerade die Begrenzung des 9-Euro-Tickets auf drei Monate der Grund, warum es vermutlich einen großen, auch langfristigen, Erfolg haben wird.

Die „einmalige“ und vor allem vorübergehende Gelegenheit den Nahverkehr bundesweit für nur neun Euro pro Monat nutzen können möchten sich viele nicht entgehen lassen. Die bereits überwältigenden Verkaufszahlen in den ersten Tagen zeigen das.

Bei einer unbefristeten Reduktion der Ticketpreise bestünde dagegen kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Aber jetzt probieren viele den Nahverkehr zum ersten mal konsequent aus.

So gesehen ist das 9-Euro-Ticket eine gewaltige Marketing- und Imageaktion, die den ÖPNV, durch die Unterstützung der Medien, massiv in die Wahrnehmung des ganzes Landes bringt.

Allerdings findet durch die Medien gerade ein kleines "Re-Framing" des 9-Euro-Tickets statt: aus einem vergünstigten ÖPNV-Ticket (hauptsächlich Busse und Bahnen in Städten) wird gerade fast ausschliesslich ein vergünstigtes Deutsche Bahn-Ticket gemacht, um teure Fernzugfahrten durch günstige Nahverkehrszugfahrten zu ersetzen.

Dieses Beispiel, das gerade täglich in den Medien zu beobachten ist, zeigt welche Schlüsselrolle die Medien tatsächlich in der öffentlichen Wahrnehmung und Meinungsbildung auch im Rahmen der Mobilitätswende haben.

Wie voll es wirklich auf manchen Strecken wird (der ÖPNV ist immer noch 20% unter vor-pandemischem Niveau) ist nicht vorherzusagen. Wir werden es sehen. Mehrere wissenschaftliche Studien begleiten aufmerksam die Folgen des 9-Euro-Tickets.

Das 9-Euro-Ticket ist ein großflächiges „Reallabor“, das unter Umständen sogar überfällige Vereinfachungen (für NutzerInnen) und Tarifreformen bzw. dauerhafte Tarifförderungen nach sich ziehen könnte.

Denn bisher gibt es zwar bundesweite PKW-Förderungen (z.B. Umweltbonus für Elektro-PKW) aber keine bundesweiten Autoersatz-Förderungen.

Von der „kleinen e-Mobilität“ (e-Mobilität mit allem, was kleiner ist als konventionelle PKW), also dem Thema von uns bei eScootee, fange ich garnicht erst an.

Hohe NutzerInnenzahlen und damit verbundene Rufe nach danach dauerhaften Ticketpreisförderungen könnten den politischen Handlungswillen deutlich erhöhen.

 

 

Fazit

 

Vieles, was wir gerade (aber nicht nur) in der Mobilität abwertend als „Symbolpolitik“ abtun, ist in Wirklichkeit eine wirkungsvolle „Signalpolitik“, die einen beträchtlichen mittel- und vor allem langfristigen Erfolg haben kann.

Wir brauchen mehr solche Signalpolitik, denn sie beeinflusst offensichtlich unser Handeln.